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Erste Lektion in Demut

Nun sollte es den ersten Pass hochgehen, 1.500 Hm auf ca. 23 km. Das ist schon ein Wort, denn es gibt laut unserer Informationen auch keine Übernachtungsmöglichkeit. Ausreichend früh los und gemächlich strampeln- dann müsste es gehen – dachten wir. Leider wachten wir beide mit grummelndem Darm auf. Unsere Darmflora ist leider noch nicht so adaptiert, wie wir das gerne hätten. Nach dem dritten Gang zur Toilette war Fritz zwar schwächelnd, fühlte sich aber sonst ok. Bei mir blieb die Übelkeit, die sich nicht entscheiden konnte, welchen Entlastungsausgang sie nehmen sollte. Dennoch wollten wir los, zumindest probieren. Und wir radelten langsam, alle 500 m Pause einlegend, die ersten Kilometer. Was erschwerend dazukam, war der unglaubliche Truckverkehr. In langen Kolonnen schoben sie sich an uns vorbei, qualmend und stinkend. Ich glaube, wir haben noch nie so viel dreckige Abgase eingeatmet wie auf dieser Etappe. Da halfen auch die vielen aufmunternden Rufe nicht. Nach 9 km entschied sich mein Körper für die Einfuhröffnung und entledigte sich mit Nachdruck aller Dinge, die sich zwischen Speiseröhre und Dickdarm befanden. Knickebeinig, (Fritz war auch fertig) fuhren  noch einen km weiter zu einem Restaurant am Straßenrand. Es war zwar erst 11.30 Uhr, aber zwischen uns und dem Pass lagen noch 12 km und 1000 Hm. Es wurde uns langsam und bitter klar, dass wir es nicht schaffen würden; nicht in unserem Zustand und mit unserer Kondition. Der Entschluss dauerte etwas – wer gesteht sich schon gerne eine Niederlage ein- aber dann wurden wir aktiv und versuchten einen Truck anzuhalten. Es klappte etwa 20 min. später mit einem Minibus, der uns bereitwillig mitnahm. Gerade als wir unsere Räder verstauten, zog langsam pedalierend ein Reiseradler an uns vorbei!! Das war schon bitter. Aber 1. war er mindestens 20 Jahre jünger, 2. nicht erst seit 6 Tagen unterwegs, und sah 3. nicht so aus aus hätte er gerade “Magen-Darm”. Na ja, man sucht sich halt seine Entschuldigungen.  Die weitere Busfahrt über den Pass und hinunter nach Calarca bestätigte allerdings die Richtigkeit der Entscheidung. Und so entschieden wir, dass diese Lektion in Demut zur rechten Zeit kam. In Calarca ein Zimmer am Busbahnhof gefunden, für ca. 12 € sogar mit Kühlschrank und kleinem Balkon. Leider funzelte die Straßenlaterne direkt gegenüber ständig an und aus, wahrscheinlich wenn eine Maus den Bewegungsmelder anwarf.

Ab dann wurde es immer besser. Meist Rückenwind, gute Straße mit breitem Seitenstreifen, Tendenz abwärts. Wir konnten uns etwas erholen. Leider folgte die nächste Irritation. Nach einem Fotostop hatte ich plötzlich beim Anfahren vorne einen Vollplatten. Zuerst dachte ich an ein fulminantes Loch, aber beim Ausbauen und Untersuchen kein Loch gefunden. Der Schlauch hielt sogar Luft. Merkwürdig. Also wieder draufgezogen, aufgepumpt – ab einem gewissen minimalem Druck wurde es nicht mehr. Alos wieder runter damit und  die faltbare Wasserschüssel zu Rate gezogen. Die schnelle Erkenntnis: Das Ventil am Schlauch ausgerissen! Das ist mir noch nie passiert!! Ein neuer Schlauch, genug Luft, im Stehen- sehr merkwürdig. Wir fanden einen neuen Ersatzschlauch in der nächsten Stadt, aber eine leichte Verunsicherung bleibt. Inzwischen sind wir in Cali, es ist heiß und der nächste Pass noch ein bißchen weg.

Hier ein paar Punkte, die uns bisher überrascht haben:

Wir hörten, dass Kolumbianer begeisterte Radler*innen sind. Wir erleben sehr häufig freundliche bis begeisterte Reaktionen auf der Straße oder auch Fragen in den Städten (unsere Antworten sind noch eher einsilbig).  Es sind perfekte Rennräder unterwegs, oft MTBs, aber auch alte Kisten und Lastenräder. Zigaretten und Rauchen ist nicht präsent, weder als Werbung noch sichtbar.
Die Straßen sind bisher supergut, meist vierspurig mit Seitenstreifen, häufige Bezahlstellen, aber nicht für Mopeds und Fahrräder.
Es liegt erstaunlich wenig Müll rum, weder am Straßenrand noch in den Städten. Wir sehen Mülltrennung und Müllabfuhr.
Eine überraschende Dichte an Panderias, dh. Bäckereien und Cafes, wo es viele Arten von baguetteartigen, süßen oder gefüllten Gebäckstücken gibt.
Kolumbien ist sehr günstig für uns: Zimmer unterwegs gibts meistens unter 10 €. Das Teuerste ca. 20 €.
Dass unsere Leistungsfähigkeit nicht mehr so ist wie vor 20 Jahren, wussten wir zwar, so theoretisch, aber daß es auch wirklich so ist, ist schon fast etwas kränkend – wir arbeiten dran.
Für die Landwirtschaftsfreaks: Über 1.600 m  gibts viele Kaffeeplantagen, auch Tomaten und Paprika unter Folie; bis ca. 1.000 m folgen viele Gärtnereien, drunter beherrscht Zuckerrohr die Landschaft- und zwar in allen Wachstumsphasen. Mais bisher eher selten, Bananen, Mangos, Papayas überall im Garten.
Unser Lieblingsgetränk auf der Strecke, bei dieser Hitze, ist frische Limonada, also gesüßte Zitrone it Wasser, eiskalt natürlich.

 

 

10 Kommentare

  1. Michael sagt

    Hallo Karin,
    nicht verunsichern lassen: Der Ventilabriss wird nicht im Stehen erfolgt sein. Du schreibst: Gute Straße, Rückenwind, Tendenz abwärts. Du wirst sicherlich auch ein paar mal gebremst haben, bestimmt aber zum Fotostopp, der hat dann dem Ventil den Rest gegeben (beim starken Bremsen rutscht der Reifen auf der Felge und zieht den Schlauch mit, evtl. standen Schlauch und Ventil bereits bei der Montage unter Spannung).
    Beste Grüße aus Wolfsburg!

  2. Michael Ebert sagt

    Ihr Lieben,
    Ich hoffe, dass es Euch inzwischen wieder gut geht und dass die Akklimatisation gut voran geht. Ihr schafft das !!! Liebe Grüße und Danke für die tollen Berichte und Fotos !
    Michael

    • Lieber Michael, der Darm spielt sich zwar immer noch etwas auf, aber wir sind guten Mutes. Werden wohl noch öfter den Bus nehmen, um unser Ziel zu erreichen. Danke für Deine Unterstützung!! Liebe Grüße

  3. Rainer Mehlhase sagt

    Hallo aus GF, 55m ü. NN, jetzt kann ich auch gut nachvollziehen, warum ein Kolumbianer dieses Jahr die Tour de France mit den harten Bergetappen gewonnen hat. Ich denke, das hat auch den Radsport dort beflügelt. Danke für die interessanten Infos über Kolumbien. Und nach wie vor Hut ab vor Eurer Leistung, bisher und auch jetzt. Da könnt Ihr guten Gewissens mal einen jüngeren Kollegen vorbeiradeln lassen oder den Bus nehmen. Das muss Euch erstmal jemand nachmachen !! Insofern, schön weiterradeln, und, wenn der Körper zur Pause ruft, einfach Pause machen. Wir wünschen Euch weiterhin alles Gute und viel SPASS auf Eurer tollen Tour. Christiane und Rainer

    • Vielen Dank für die stärkenden Worte. Das mit der Pause lernen wir gerade. Es ist ein tolles Abenteuer.

  4. Inge Heitland sagt

    liebe Karin, lieber Fritz,
    Ich bin immer wieder begeistert von euren so interessanten Berichten mit hervorragenden Fotos. Dass ab 30 Jahren jährlich die Leistungsfähigkeit abnimmt ist keine neue Erkenntnis. Ich bewundere euch sehr, dass ihr die Strapazen auf euch nehmt, obwohl ihr ja keine Teenager mehr seid. Mir wurden mit Anfang 60 die Beschwerden auf dem Zweirad mit Po, Nacken, und Handgelenk -schmerzen zu viel, so dass ich mit großer Begeisterung auf das Liegerad umstieg, erst Liegezweirad, dann Liegedreirad. So radele ich noch in meinem Alter 80 km ohne Schmerzen, wenn auch mit Akku…Ich wünsche euch vor allem gute Gesundheit und keine Darmprobleme mehr. Alles Gute und liebe Grüße von Inge aus Wolfsburg

  5. Christian Hillmer sagt

    Hallo liebe Weltradler,
    unglaublich, was ihr so leistet.
    Ich wünsche Euch gutes Gelingen für Eure weiteren Reisepläne und werde aufmerksam Eure Tour verfolgen.

    Herzliche Grüße aus z. Zt. Vancouver Island (Victoria),

    Christian Hillmer

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